Die Frage stellt sich der gestresste Mensch der Moderne in der Regel schon gar nicht mehr. Keine Zeit für das Nachdenken über so komplizierte Themen, der nächste Termin, die nächste Pflicht ruft schon . . .
Laß uns trotzdem ein paar Gedanken über die Zeit nachsinnen.
Im Verständnis der modernen Physik ist die Zeit eng verbandelt mit dem Raum, genauer gesagt mit dessen Expansion. Die Zeit ist keine fixe Größe mehr, die wie in einer Sanduhr gleichmäßig vor sich hin träufelt, ihr Verlauf hängt stark von der Geschwindikeit ab, mit der sich Beobachter und Beobachtetes bewegen. Sogar die Gravitation, die das Raum/Zeitgefüge verbiegt, verändert den Ablauf der Zeit.
Die Zeitdilatiation führt zu so spannenden Effekten, daß für Reisende zu einem „nur“ 28 Lichtjahre entfernten Stern, also in unsere stellare Nachbarschaft, die nach einem Aufenthalt dort von sechs Monaten wieder zurück auf die Erde kommen, sich die vergangene Zeit zu 13 Jahren, 9 Monaten und 16 Tagen addieren (Messung mit an Bord befindlicher Uhr). Auf der Erde sind bei der Rückkehr des Raumschiffes dagegen 60 Jahre, 3 Monate und 5 Stunden vergangen. Bei einer Reise zum etwa 2 Millionen Lichtjahre entfernten Andromedanebel würde sich die Differenz auf fast 4 Millionen Jahre vergrößern. Der Reisende käme nach 56 für ihn vergangenen Jahren zurück zu einer Erde, die er garantiert nicht wiedererkennen würde.
Ganz ab davon, daß die technischen Mittel für eine gleichmäßige Beschleunigung von 1g über Jahre hinweg zumindest nach heutigem Stand nicht verfügbar sind, die Effekte treten messbar erst bei sehr hohen Geschwindigkeiten auf, mehr je näher am Maximalmaß der (Licht-)Geschwindigkeit. Für uns Menschen in unserem Alltag, die wir in Relation zum Licht doch sehr geruhsam unterwegs sind, sogar wenn wir die Bewegung unseres blauen Planeten durchs All und seine Rotation mit berücksichtigen, spielt das eine nur theoretische Rolle. Merken wir uns trotzdem: die Zeit scheint nur ein ruhig und gleichmäßig dahinfließender Fluß zu sein!
Daß Zeit in unterschiedlichen Geschwindigkeiten verrinnt oder rast, ist aber auch in unserem Alltag eine ständige Erfahrung. Mal will sie überhaupt nicht vorbeigehen, sei es, weil so ganz und gar nichts passiert, oder wir in unangenehmen Situationen stecken, denen wir lieber gestern als heute wieder entfleuchen würden. Ein andermal rast sie so schnell, daß wir uns hinterher wundern, wo sie geblieben ist.
Auch die Perspektive spielt eine Rolle: schauen wir in die Vergangenheit, erinnern wir uns an Ereignisse, die wir erlebt haben? Angenehme oder unangenehme? Zeiträume, in denen viel passiert ist, oder die mit gähnder Leere gefüllt sind? Oder schauen wir in die Zukunft, in gespannter oder freudiger Erwartung? Oder in Angst vor der Ungewissheit dessen, was sie uns bringt? Je nach Situation wird uns die Zeit in unterschiedlicher Geschwindigkeit vergehen.
Vergessen wir nicht den Punkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, den Zeitpunkt, in dem unser, in dem DAS Leben stattfindet: Hier und Jetzt. Die Dynamik dieses Punktes, also was die Zeit treibt, das stelle ich jetzt mal ganz einfach in den Raum, wird durch Wünsche bestimmt: unseren eigenen Wünschen und den Wünschen der anderen.
Zwischen den eigenen Wünschen und denen der anderen zu unterscheiden ist manchmal gar nicht so einfach, ist aber lernbar und die Voraussetzung für das Bei-Sich-Sein. Dazu später mehr. Die Wünsche und Forderungen der anderen zu erkennen und danach zu sortieren, wie weit sie mit eigenen Wünschen im Einklang sind oder auch nicht, ob wir Ja! oder Nein! zu ihnen sagen können, wollen, sollen, ist die eine Sache. Wenn wir diese Unterscheidung nicht schaffen, sehen wir uns irgendwann in der Situation, daß wir für die Wünsche und Forderungen dieser anderen unsere Lebenszeit vergeuden, und Schwupp!, da rast sie hin, die Zeit, und weg ist sie. Und unser Leben verwischt zu einer nicht mehr fassbaren, unscharfen Kollage. Dazu weiter unten die Abschweifung in die Photographie.
Aber auch die eigenen Wünsche sollten hinterfragt werden. Angeschaut und angefühlt unter dem Gesichtspunkt des Wert-Seins. Was will ich haben, und vor allem, was, wer will ich sein? Wo will ich hin? Was ist mir das ‚Wert‘. Wert steht dabei weniger für den Wert in €uronen, sondern vor allem für den Wert, der durch die Investition von Lebenszeit fließt, die für uns alle nur in begrenztem Maß zur Verfügung steht.
Die Einschränkung der Wünsche auf die wirklich Wert-vollen führt zu einer Entschleunigung des eigenen Lebens, die Konzentration auf die Wert-vollen zu einer Beschleunigung im positiven Sinn von Wert-vollen Erfahrungen und Entwicklung des Selbst-Seins.
Die Vorstellung von Zeit, die als Strahl, als Pfeil unser Leben von Geburt bis zum Tod beschreibt, ist mir dabei zu eindimensional. Auch hier lohnt sich wieder einmal ein Ausflug in die Metaebene. Das ‚Was will ich sein?‘ und ‚Wo will ich hin?‘ zwingt Geist und Seele dazu, die Dimension der Entwicklung ins Auge zu fassen. Wenn wir uns um den Strahl der Zeit sozusagen zusätzlich ‚Breite‘ und ‚Höhe‘ vorstellen, kommen wir zu einem Bild unseres Lebens als dreidimensionalen Körper, bereichert um die ‚Breite‘ von Erfahrung und die ‚Höhe‘ von Wachstum in sowohl geistiger als auch seelischer Dimension. Und wenn wir genau hinschauen und fühlen, sehen wir dieses eigene Leben eingebettet in einen ‚Zeit~Raum‘, der weit über unsere Lebenszeit und unser Selbst hinausragt.
Denn wir sind, wie individualistisch wir auch sein wollen, wie alleine wir uns manchmal auch fühlen mögen, immer eingebunden in die menschliche Gesellschaft, im engerem Sinn Familie, Partner, Freunde, im weiteren der Menschheit im Ganzen. Sowohl die der Vergangenheit, ohne die wir nicht wären, der Gegenwart, die unser Leben ist, als auch der Zukunft, die wir irgendwann nicht mehr erleben werden.
In diesem Sinne heißt mir Bei-sich-sein sowohl die eigenen Wünsche zu kennen, zu sehen, zu fühlen, und zu leben. Aber auch das eingebettet-Sein in den Kontext der Menschheit, mit Körper, Geist und Seele (die nur drei verschiedene Aspekte, Ansichten, derselben Sache sind ~ aber das wäre wieder ein anderer Artikel in diesem Blog).
Und eingebettet-Sein auch in den Lebensraum unseres blauen Planeten Erde, und dem ganzen Rest des Universums, dessen Geschichte bis jetzt dreizehnkommaacht Milliarden Jahre währt, das bis jetzt dreizehnkommaacht Milliarden Lichtjahre weit ist.
Im Bewußtsein dieses eingebettet-Seins kann man versuchen, über das eigene Selbst, über das eigene Ego hinaus lebenswirksam zu sein. Für die einen mag das über die eigenen Kinder geschehen, die das Leben weitertragen, für die anderen darin, Ideen und Gedanken mit anderen Menschen zu teilen, bei sozialen oder ökologischen Projekten mitzuwirken. Für noch andere darin, bleibende Dinge zu schaffen, Kunst, Technik, Architektur, eine Organisation, die vielleicht Fortbestand hat, nach dem wir selbst schon lange nicht mehr leben. Alle diese Versuche mögen im Angesicht einer Ewigkeit winzig klein und unbedeutend erscheinen, und doch ist es gut und wichtig, daß sie gelebt werden.
Gestattet mir einen Ausflug in die Photographie, die einen gut Teil meiner Ausdrucksmöglichkeiten darstellt. Ein Photo ist ein zweidimensionales Abbild, herausgeschnitten aus einer im Minimum vierdimensionalen Realität, bestehend aus den räumlichen Dimensionen Höhe, Breite, Tiefe und der vierten Dimenson, der Zeit. Wobei in der normalen Photographie die Zeit in Bruchteilen von Sekunden gemessen wird, von 1/50000 Sekunde, die ein Elektronenblitz aufleuchtet, über die Verschlußzeit der Kamera von 1/4000 Sekunde bis hin zu 1/30 Sekunde. Alles darüber hinaus führt wahrscheinlich zu Unschärfe durch Bewegung, entweder der Kamera selbst oder des abgebildeten Objekts.
Umgekehrt ist aber die Unschärfe durch Bewegung zu dem Symbol für Geschwindigkeit, für Dynamik geworden. Das gerichtet unscharf abgebildete Objekt oder auch das vor gerichtet unscharfem Hintergrund scharf abgebildete Objekt symbolisiert Tempo, Bewegung, damit den Ablauf von Zeit ~ und Entwicklung.
Und so ist die Dynamik des Lebens manchmal auch ein Symbol, ein Zeichen für eine Entwicklung, im besten Sinne dann für Wachstum und Reifung. Wenn die Richtung stimmt, sollten wir sie annehmen und schauen, daß wir das Beste daraus machen können . . .